Die Regionalwert AG Freiburg: Von der Zukunft aus gedacht – ein anderes Verständnis von Gewinn und Verlust, Rendite und Rentabilität

Andrea Rahaman
Christian Hiss

Christian Hiss wuchs am Kaiserstuhl auf einem der ersten Bio-Bauernhöfe Deutschlands auf. Ihm wurde schnell klar, dass es nachhaltig wirtschaftende Betriebe schwer haben, Kredite zu bekommen, weil sie nicht profitabel genug erscheinen. 2006 gründete er die Regionalwert AG, um diese Problematik anzugehen: Auf der einen Seite gibt es Betriebe, die mehr Ähnlichkeit mit Industrieunternehmen haben als mit Bauernhöfen, weil sie auf Bankkapital angewiesen sind, das eine rein profit-orientierte (Aus-)Nutzung von Mensch und Umwelt fördert. Auf der anderen Seite Höfe, die mit Bodenschutz, Artenvielfalt und Ausbildungsplätzen in unsere Zukunft investieren, von den Banken aber als zu kostenintensiv abgewertet werden.

Als Bürgeraktiengesellschaft ermöglicht die Regionalwert AG Betrieben der gesamten Wertschöpfungskette, denen das entsprechende Kapital fehlt, ökologisch-nachhaltiges Wirtschaften. Über 900 Aktionär:innen haben mit dem Erwerb von Bürger-Aktien ein Stamm-Kapital von 4,5 Mio. € aufgebracht. Obwohl sie bisher keine finanzielle Rendite erhalten haben, finden die Aktien der Regionalwert AG weiterhin Abnehmer:innen. Wenn es den Aktionär:innen also offensichtlich nicht um persönlichen Profit geht, worum geht es Ihnen dann?

ZUK: Christian, du bist hier in der Region aufgewachsen, auf einem der ersten Biobauernhöfe Deutschlands, den du auch selbst bewirtschaftet hast. Du hast den Samengarten Eichstetten mitgegründet, 2006 die Regionalwert AG, darüber hinaus bist du in Forschungsinitiativen wie Richtig rechnen! und Quarta Vista involviert. Die Möglichkeit einer realitätsnäheren Bilanzierung von Betrieben zu Nachhaltigkeitsfaktoren scheint das Thema zu sein, das dich antreibt, was hat dich da geprägt?

C.H.: Also geprägt hat mich auf jeden Fall meine Kindheit auf dem Bio-Demeterhof meiner Eltern. Sie haben sehr früh, 1950, auf Bio-Landbau umgestellt. Ich glaube, es gab damals 30 oder 40 Bio-Betriebe in Deutschland, heute sind es über 30.000. Eichstetten gilt als die Wiege des Öko-Landbaus in Deutschland und das ist natürlich prägend – in solch einer Situation aufzuwachsen, in der man so aus der Zukunft heraus lebt und arbeitet. Landwirtschaft war damals eine eigene Lebensform, Arbeit und Leben waren nicht getrennt. Meine Eltern haben aus eigenen Maßstäben heraus gelebt und gearbeitet, weil es damals auf diesem Gebiet noch keine Vorbilder gab. Man hat versucht, die Herausforderungen mit anderen Wirtschaftsweisen zu lösen und dabei sehr weit nach vorne gedacht, in einer Haltung der Offenheit gegenüber der Zukunft und der Welt. Die Stimmung war: Da kannste was machen! Du kannst Zukunftsentwürfe ausarbeiten und dann auch leben. Ich habe Gärtner gelernt und war dann sehr früh Unternehmer. Mit 21 Jahren habe ich meinen eigenen ökologischen Gemüseanbaubetrieb gegründet und bewusst nicht den Betrieb der Eltern übernommen. Ich wollte eigenständig sein, meine eigenen Ideen und Vorstellungen umsetzen.

ZUK: Gab es da einen bestimmten Schlüsselmoment?

C.H.: Ich habe 1990 erfahren, dass mein Saatgut aus der saudi-arabischen Wüste kommt. Bis dahin dachte ich, es kommt aus dem Schwäbischen von der Firma, bei der ich es bestellt habe. Das fand ich unglaublich. Ich habe mich dann zusammen mit meiner Frau auf die Suche gemacht und fünf Demeter-Gärtner in Deutschland gefunden, die bereits eigenes Gemüse-Saatgut gemacht haben. Denen habe ich mich angeschlossen und dann die Bingenheimer-Saatgut AG mitgegründet. Für mich als Gärtner hat sich mit der Saatgut-Produktion nochmal eine neue Welt eröffnet. Daraus ist dann der kommunale Samengarten in Eichstetten geworden, eine kommunale Saatgut-Ressource mit 800 Sorten – eine aus meiner Sicht noch unerkannte Perle! Durch meine Beschäftigung mit der Herkunft des Saatguts ist mir um die Jahrtausendwende klar geworden, dass die eigentliche Frage in der Landwirtschaft, die Kapitalfrage ist. Ich kam zu der Erkenntnis, dass wir für die Landwirtschaft anderes Kapital brauchen als in Industrie oder Handel.

ZUK: Also anderes Kapital als das, was man von der Bank bekommt, weil dieses nicht zu den Bedingungen in der Landwirtschaft passt?

C.H.: Es gab damals ein neues Regelwerk für Bankkapital, genannt Basel II, das die Risiken von Unternehmen, auch der Landwirtschaft neu bewertete. Mit der Folge, dass z. B. auch mein Betrieb abgewertet wurde. Ich war nicht hoch verschuldet, aber ich hatte Bankkapital im Betrieb, und plötzlich war meine Gärtnerei in den Augen der Bank nichts mehr wert – als Gegenwert, als Sicherheit. Wesentliche Faktoren meiner Arbeit wie Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität, Tierwohl, Ausbildung usw. haben keine Rolle mehr gespielt. Mit Basel II haben nur noch betriebswirtschaftliche Kennzahlen gezählt. Und das hat mich provoziert. Also habe ich gesagt, wir brauchen anderes Kapital! Und das war ein Gesichtspunkt, der dann zur Gründung der Regionalwert AG geführt hat.

ZUK: Wie habt ihr aus dieser Unzufriedenheit mit den Bedingungen des Bank-Kapitals einen Motor für Entwicklung in der Landwirtschaft gemacht?

C.H.: Unsere These war, dass Menschen in der Region eventuell einen anderen Rentabilitätsbegriff haben könnten als die Bank. Bei der Regionalwert AG geben wir Aktien aus. Eine Aktie kostet 500 € und mit diesem Geld werden dann Höfe finanziert. Und dann haben wir gesagt, dass die Leistungen der Betriebe, in die wir investieren, die Leistungen im Bereich Biodiversität, Bodenfruchtbarkeit, Ausbildung usw., dass diese Leistungen als Rendite auf das Kapital zu gelten haben. Das war damals spektakulär! Dann gab es natürlich die Stimmen, die sagten: „Das funktioniert nicht, da macht doch niemand mit!“ Und ich sagte:  “Eben, bevor wir es nicht probiert haben, können wir doch gar nicht wissen, ob da niemand mitmacht.“

ZUK: Euer Konzept ist, die Eigentümerschaft von Land und Boden und die Bewirtschaftung desselben zu trennen. Eigentümerin wird die Regionalwert AG, bewirtschaften tut der Partnerbetrieb, also ein Biobauer/bäuerin oder ein/e Gärtner:in etc. Warum ist diese Trennung wichtig?

C.H.: Für den Aufbau eines landwirtschaftlichen Betriebs ist sehr viel Kapital nötig. In keiner Wirtschaftsbranche klaffen der Kapitalbedarf und die Möglichkeit der Refinanzierung so krass auseinander. Laut Statistik liegt der Kapitalbedarf für einen Arbeitsplatz in der Landwirtschaft in Deutschland bei 540.000 €. Mit diesem einen Arbeitsplatz können wir 80.000 € Umsatz machen. Das ist eine ökonomische Unmöglichkeit. Das geht überhaupt nicht. Und vor allem können junge Leute, die keinen Hof geerbt haben, niemals einen landwirtschaftlichen Betrieb finanzieren. Mit dem Geld von der Bank ist es schwierig, denn das musst du refinanzieren. Also haben wir uns gefragt, wo könnte das Kapital für diese Leute herkommen? Und das kommt dann von den Bürger:innen. Von Bürger:innen, die ein Interesse daran haben, dass es solche Betriebe in der Region gibt. Das ist also der Blickwinkel von der Finanzierungsseite. Auf der anderen Seite geht das Modell des Familienbetriebs zu Ende und ich habe da ein Folgekonzept gebraucht – weil die jungen Leute, die auf Höfen aufgewachsen sind, zu Recht selbst entscheiden wollen, was für einen Beruf sie ausüben. Aber wir brauchen ja die vielfältige Landwirtschaft. Wir brauchen ein Konzept, damit Leute, die Landwirtschaft gelernt, aber keinen Hof geerbt haben, zu einem Hof kommen.

Boden gut machen: Mitarbeiter:innen des Partnerbetriebs Gärtnerei Querbeet bei der Arbeit © Felix Groteloh

ZUK: Du siehst die Entwicklungen in der Landwirtschaft in den letzten 50 Jahren kritisch. Was genau ist da Bedenkliches passiert?

C.H.: In der Landwirtschaft ist in den letzten 50 Jahren eine gesellschaftliche Katastrophe passiert: Die kleinteilige Subsistenzwirtschaft, die bei uns bis nach dem 2. Weltkrieg Bestand hatte, wurde in den 60er und 70er Jahren radikal von der grünen Revolution abgelöst, ohne dass man sich bewusst ist, was verloren ging. Wir reden immer noch von Bauern, in der Realität sind es aber Industriebetriebe, die mit bäuerlicher Ökonomie gar nichts mehr zu tun haben. Das ist vielen Leuten, auch denen, die in der Landwirtschaft tätig sind, gar nicht klar. Ich bin ein Fan der alten bäuerlichen Subsistenzwirtschaft. Also eine reine Versorgungsökonomie, die den einzigen ökonomischen Zweck hatte, eine soziale Einheit, einen Haushalt, der oft über das hinausging, was heute unter den Begriff „Familie“ fällt, mit Essen zu versorgen. Und das nach einem ganz klaren, sozio-ökonomischen Konzept: Eine Kreislaufwirtschaft und große Vielfalt – Getreide, Obst, Tiere. Meine Idee ist, dass man eine regionale Versorgungsökonomie aufbaut, indem man die funktionalen Regeln der bäuerlichen Ökonomie, die auf einen Haushalt ausgelegt waren, herausarbeitet und auf ganze Regionen überträgt. Die Bezugsgröße ist dann nicht nur ein Haushalt, sondern hunderttausend Haushalte. Das ist die Grundidee hinter regionalen Wertschöpfungsräumen.

ZUK: Deshalb ist es also das erklärte ökonomische Ziel der Regionalwert AG alle Stufen der Wertschöpfungskette, Produzenten, Vertriebsstrukturen etc. unter einem Dach zu vereinen…

C.H.: Ganz genau! Ich habe in meinem ehemaligen Betrieb versucht, alles zu machen: Saatgut-Herstellung, Tierhaltung als Düngergrundlage, Ausbildung. Ich wollte die alte kleinbäuerliche Ökonomie in einem Betrieb erhalten. Ich habe dann gemerkt, dass das viel zu komplex für eine Familie ist und nicht mehr in einem Betrieb leistbar ist, denn der Zweck war ja nicht mehr die reine Versorgung nur meiner Familie, sondern ich hatte hunderte von Verbraucher:innen. Also kamen wir auf den Gedanken, wir bauen die ganze Wertschöpfungskette eben nicht in EINEM Betrieb auf, sondern in der ganzen Region und entwickeln eine größere Organisationsform, in der es dann Bio-Läden gibt. Die können sich dann nur auf Vermarktung konzentrieren, nicht mehr auf Anbau UND Vermarktung. Dann gibt es Verarbeitung, es gibt Dienstleistung – und damit war die Idee geboren, dass nicht mehr ein Betrieb alles leisten muss, sondern dass ein Netzwerk von Betrieben diese Leistung erbringt. Die Bezugsgröße ist dann die Versorgung der Menschen in der Region. Dieses große Bild so zu transportieren, dass es verstanden wird, ist der Regionalwert AG leider noch nicht ganz gelungen.

ZUK: Was sind das zum Beispiel für Höfe oder Betriebe, die jetzt unter dem Dach der Regionalwert AG versammelt sind?

C.H.: Es sind Gemüsegärtnereien, ein Milchviehbetrieb, ein Ferkel-Erzeuger, ein Schweinefleisch-Erzeuger, ein Obstbetrieb, ein Weinbaubetrieb, ein Bio-Laden. Dann gehören noch ein paar Einzelhandelsgeschäfte dazu, ein Kindergarten-Catering, ein Gastronomie-Betrieb, das Adelhaus in Freiburg. Wir versuchen, mit Betrieben, die dazu passen, zusammenzuarbeiten, um diese Wertschöpfungskette immer weiter aufzubauen.

ZUK: Was sind die Bedingungen für eure Partnerbetriebe, um von der Regionalwert AG Geld zu bekommen?

C.H.: Die Betriebe müssen ökologisch wirtschaften oder sich in Umstellung auf ökologische (Land-)wirtschaft begeben und im Regierungsbezirk Freiburg liegen. Sie müssen unsere Wertschöpfungskette ergänzen. Also wir würden jetzt nicht zehn Erdbeerbetriebe finanzieren. Dazu müssen sie bereit sein, über ihre sozial-ökologischen Leistungen zu berichten. Und sie müssen eine Pacht zahlen.

ZUK: Jedes Mal, wenn ihr noch einen bestimmten Betrieb dazu nehmen möchtet, braucht ihr wieder Kapital. Wie ist denn die Resonanz auf Euer Geschäftsmodell, sowohl seitens der Anteilseigner:innen, also der Kapitalgeber:innen, wie auch seitens der Hofbesitzer:innen?

C.H.: (schmunzelt) Naja, also es könnte natürlich immer besser sein, dann käme man schneller vorwärts. Aber wir sind jetzt bei 4,5 Millionen € Stammkapital von über 900 Bürgerinnen und Bürgern.Dafür, dass vor 15 Jahren alle gesagt haben, da macht doch niemand mit, ist das ja schon eine nette Summe. Es gibt jetzt neun weitere Regionalwert AGs in Deutschland und Österreich, zwei weitere sind in Gründung. Zusammen sind das etwa fünf- bis sechstausend Aktionär:innen. Natürlich hätte ich mir manchmal gewünscht, es geht schneller, aber ich bin zufrieden. Die Resonanz in der Landwirtschaft ist allerdings schlecht. Es kommt niemand auf uns zu und sagt, „übernehmt meinen Hof!“. Diejenigen, die kommen, sind in allergrößter finanzieller Not, und dann ist es oft schwierig in solch einer Lage nochmal in eine anständige Partnerschaft auf Augenhöhe zu kommen.

ZUK: Hast du eine Erklärung, warum die Resonanz so schleppend ist? Eigentlich sieht Euer Angebot ja nach einer Win-Win-Situation aus. Hat es etwas mit Besitzdenken zu tun?

C.H.: Auf jeden Fall. Aber ich will es nicht allein darauf schieben. Ich kann es mir nicht richtig erklären.

ZUK: Die AnteilseignerInnen haben bei Euch ja ein gewisses Mitspracherecht in den Wirtschaftsfragen Eurer Partner-Betriebe. Ist da ein großes Bedürfnis nach Mitsprache?

C.H.: Nein, eigentlich nicht. Wir verlangen von den Partner-Betrieben eine Berichterstattung. Das resultiert auch aus meinem eigenen unternehmerischen Verständnis. Es ist auch für die eigene Reflexion wichtig, Rechenschaft abzulegen. Auch wenn es oft so verstanden wird – es geht nicht um Kontrolle. Wir verlangen gegenüber den Aktionär:innen eine Berichterstattung über die sozial-ökologischen Leistungen. Das ist ein hervorragendes Kommunikationsmittel, um die Menschen über Landwirtschaft aufzuklären. Und die Anteilseigner:innen haben jedes Jahr mit großer Zustimmung auch finanzielle Verluste in Kauf genommen, weil sie gesehen haben, was in dem Betrieb wirklich geleistet worden ist.

ZUK: Eure 900 Aktionär:innen akzeptieren seit 12 Jahren einen scheinbaren Kapital-verlust, wie kommt es zu diesen Verlusten? Durch die Inflation?

C.H.: Nein, es ist mehr als die Inflation. Wir machen tatsächlich finanzielle Verluste, weil von den Betrieben Leistungen in Biodiversität, in Sozialem u.a. erwartet werden, die ihre Rentabilität negativ werden lässt. Das spiegelt sich am Ende im Aktienwert wider, im Bilanzwert der AG. Denn die Regionalwert AG lebt ja von den Gewinnen der Betriebe. Wenn da aber nur Verluste kommen, dann kommen auch bei uns nur Verluste an, und dann wird die Aktie weniger wert. Nur, und darauf weise ich ja bereits seit 15 Jahren hin, ist das eben das Resultat einer falschen Bilanzierung. Denn wenn die Betriebe ihr Geld in Bodenfruchtbarkeit, Vielfalt, samenfestes Saatgut und Ausbildung stecken, dann haben wir in den Betrieben verstecktes Vermögen. In der Realität ist dadurch in den Betrieben ein Vermögen entstanden, das nicht in der Bilanz steht. Aufgrund der jetzigen Bilanzierungsregeln der klassischen Buchhaltung darf das Vermögen nicht in den Jahresabschluss  wandern. Das ist das Problem! Wir hingegen berichten über die Leistung: Was tun die Betriebe im Laufe eines Jahres konkret? Wie viele Lehrlinge wurden ausgebildet? Wie viele samenfeste Sorten gibt es? Und dann sehen die Aktionär:innen, dass das Geld ja gar nicht verloren ist, sondern jetzt z. B. in Bodenfruchtbarkeit steckt. Und daraufhin haben die Aktionär:Innen jedes Jahr festgestellt, dass die Geschäfte der Regionalwert AG in Ordnung waren.

ZUK: Eure Aktionär:innen haben – im Gegensatz zu Aktionär:innen an der klassischen Börse – noch keine Rendite ausgezahlt bekommen, daraus muss man schließen, dass ihnen etwas Anderes wichtig ist. Was ist da die Motivation?

C.H.: Das sind 900 unterschiedliche Individuen mit unterschiedlichen Motiven. Es sind Menschen, die Betriebe in der Region, die anders wirtschaften, unterstützen wollen. Denen die Region, der Kulturraum hier, am Herzen liegt, und die zu ihrer Erhaltung beitragen möchten. Menschen, die Geld haben, auf das sie im Moment verzichten können, und die möchten, dass damit sinnvoll gearbeitet wird. Das ist unser Versprechen. Und dann sagen manche, „naja so ein bisschen Rendite muss doch aus sein…“ (lacht) und dann frage ich, „was ist ein bisschen und welche Rendite meinst du, die finanzielle?“ Das geht halt nicht. Ökologisch arbeiten und Rendite im landwirtschaftlichen Bereich – das funktioniert nicht, denn ökologisch zu arbeiten kostet Geld. Wenn ich Kompost mache, habe ich Kosten. Die vermehrten Kosten, die im ökologischen Anbau entstehen, kann ich nicht 1:1 über die Produktpreise auf die Verbraucher abwälzen.

ZUK: Wie würdet ihr jetzt für die Regionalwert AG Erfolg definieren?

C.H.: Also Erfolg ist ja ein schrittweiser Prozess. Das heißt z. B., wenn wieder ein Betrieb dazugekommen ist, der dann die Wertschöpfungskette schließt. Wenn wieder mehr samenfeste Sorten eingesetzt werden. Wenn wir sehen, dass in Bioläden der Anteil von Produkten aus dem Netzwerk der Regionalwert AG gestiegen ist. Wenn Lehrlinge ausgebildet wurden.

ZUK: Und wie bemesst ihr eure Wirtschaftlichkeit?

C.H.: Betriebswirtschaftlich ganz normal, mit Jahresabschlüssen, Gewinn- und Verlustrechnungen – aber eben auch mit einem sozial-ökologischen Bericht. Wir haben  2021 in der Jahreshauptversammlung zum Jahr 2020 zum ersten Mal nach 10 Jahren nicht-finanzieller Berichterstattung zu den sozial-ökologischen Leistungen nun einen finanziellen Bericht vorgelegt. Wir haben also der sozial-ökologischen Wertschöpfung einen Geldwert gegeben. So konnten wir in unserer Nachhaltigkeitsbilanz ausrechnen, dass wir im Jahr 2020 Wertschöpfung in Höhe von 2.036.500 € geschaffen haben.

ZUK: Was ist deine hauptsächliche Kritik an der gängigen Bilanzierungspraxis?

C.H.: Die aktuell praktizierte Bilanzierungspraxis bildet nicht die tatsächliche Realität in den Betrieben ab. Es ist enorm wichtig, dass man diese aber in Zahlen zeigt, denn ein Betrieb, der eine negative Bilanz hat, der steht einfach schlecht da. Der kann noch so viel für die Zukunft geleistet haben, Betriebsvermögen aufgebaut haben, doch die Zahlen haben einen so unglaublichen Stellenwert – mit negativen Jahresabschlüssen hast du keine Chance, irgendwo Anerkennung zu bekommen. Doch diese Zahlen sind ja nicht deckungsgleich mit der Realität. Die ökologische und ökonomische Realität ist eine andere: Die Unternehmer:innen haben ungeheure ökonomische Risken, nur sind diese nicht in der Bilanz. Und das will ich harmonisieren: dass die Realität wieder in den Bilanzen auftaucht und nicht nur ein Ausschnitt der Realität, der dann eine falsches Bild der Realität erzeugt. Dafür braucht es nicht erst eine Gesetzesänderung, wie manche meinen. Die oberste Bilanzierungsregel des Handelsgesetzbuches sagt, dass die Betriebsrealität adäquat wiedergegeben werden muss. Genau das findet meiner Meinung nach im Moment nicht statt. Das Gesetz spricht also schon in unserem Sinne.

ZUK: Und woran liegt es, dass das Gesetz nicht so umgesetzt wird?

C.H.: Das ist eine spannende Frage. Es liegt am Bewusstsein. Es fehlt noch die flächendeckende Realisierung, dass die aktuell üblichen Gewinn- und Verlustrechnungen nicht mehr die Realität wiedergeben. Wesentliche Faktoren werden aktuell einfach nicht miteinbezogen. Das macht dann die Gemeinwohlökonomie: Sie beleuchtet diese wichtigen Faktoren und bildet sie ab. Interessanterweise hatte die Wirtschaft noch in den 1960er und 1970er Jahren das Selbstverständnis, dem Gemeinwohl zu dienen, auch in der wirtschaftlichen Theorie. Das Gemeinwohl war der oberste Zweck! Das ist dann langsam aus dem Blick geraten, der Fokus ist verrutscht. Später kamen die Gemeinwohlökonomie und der Nachhaltigkeitsbericht auf – als eine Folge aus der Krise der Buchhaltung. Diese Krise wird jetzt vermehrt wahrgenommen, und auch in der Wissenschaft wird mehr und mehr anerkannt, dass wir hier dringend eine Novellierung brauchen.

ZUK: Welchen Beitrag sollten Unternehmen zum Gemeinwohl leisten?

C.H.: Diese Frage wird intern grade sehr heftig diskutiert. Von der Herkunft der Ökonomie her, ist sowieso das einzige Ziel der Wirtschaft, dem Gemeinwohl zu dienen. Nur was ist das Gemeinwohl? Wenn die Allgemeinheit etwas zu essen hat, ist auch schon dem Gemeinwohl gedient. Wenn man Steuern zahlt, dient man auch dem Gemeinwohl. Ich denke, dass wir einen neuen Gemeinwohlbegriff brauchen, von der Wirtschaft aus gedacht. Es sollte in den Unternehmensbilanzen ein Vermögenskonto für Gemeinwohl auftauchen, also nicht nur Betriebsvermögen, sondern auch Gemeinwohlvermögen, nach festgelegten Standards. Und wenn dann der Betrieb nicht genügend auf sein Gemeinwohlkonto leistet, wird das Unternehmen weniger wert.

ZUK: Was würdest du einem klassischen Unternehmen raten, das sich jetzt fragt, wo könnten wir denn bei uns anfangen, Dinge zu verändern?

C.H.: Also als erstes würde ich mir die 17 Nachhaltigkeitsziele der UN vornehmen und schauen, wo sie mein Unternehmen berühren. Wenn ich mir das nicht allein zutraue, würde ich mir jemanden als Coach dazu holen, der sich auskennt und mit mir herausarbeitet, wo das Unternehmen im Bezug zu den Nachhaltigkeitszielen steht, wo muss ich genauer hinschauen, wo trage ich als Unternehmer:in etwas zur Zukunftsfähigkeit der Welt bei.

ZUK: Die durch den Ukraine-Krieg verursachte Ernährungskrise führt uns ja gerade deutlich vor Augen, wie wichtig die Nahrungsmittelproduktion unmittelbar vor der eigenen Haustür ist. Danke für das Gespräch!

Weitere Infos unter: www.regionalwert-ag.de

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