Warum ist unsere aktuelle Wirtschaft nicht zukunftsfähig? Was können wir tun? – Ein Gespräch mit Prof. em. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker.

Thomas Zimmermann

Er beriet schon die chinesische und arbeitete für die deutsche Regierung bei der Energiewende, publizierte dutzende Artikel sowie Bücher und hält heute noch Vorträge für mehr ökologisch-soziale Nachhaltigkeit. Wir sprachen mit ihm in Emmendingen und hörten erstaunlich konkrete und wirtschaftsnahe Vorschläge.

Ernst, lass uns mit deinem Buch beginnen. Was hat es mit dem Titel auf sich?

Anders Wijkman und ich haben auf Englisch geschrieben, da heißt das Buch „Come on!“. Damit ist gemeint: Come on, Komm her, du spinnst wohl! Aber auch: Come on, packen wir‘s an!. „Wir sind dran“ ist genau so doppeldeutig gemeint: Wir sind an der Reihe, aber wenn wir’s schlecht anstellen, dann sind wir „dran“. Das Überleben der Menschheit und der Natur steht auf dem Spiel. 

Du meinst also, unsere Art zu leben und zu wirtschaften ist nicht zukunftsfähig?

Richtig. Wir verzeichnen seit den 1950ern global ein exponentielles Wachstum an Energieverbrauch, CO2-Emissionen und Mineralien, die schwere Klimafolgen und schaurige Abfalllawinen nach sich ziehen. Natürlich haben wir in den letzten Jahrzehnten Fortschritte gemacht in puncto Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Aber leider beobachten wir (übrigens seit Jahrhunderten) einen „Rebound-Effekt“: Wenn die Energieffizienz steigt, nimmt auch der Verbrauch zu – weil man sich mehr leisten kann! Und da liegt auch das große Problem: Energie kostet viel zu wenig, es besteht kein Anreiz, damit sparsam umzugehen.

Leider hat ein Großteil der Menschen weltweit immer noch nicht begriffen, dass wir mehr verbrauchen, als auf Dauer zur Verfügung steht. Aber bevor es zu echten Knappheiten kommt, gehen Tausende von Ökosystemen kaputt. Wir brauchen starke Gesetzgeber, die klare Leitplanken durchsetzen.

Und doch tut sich ja etwas: Mit Jahresbeginn ist die neue Co2-Steuer in Deutschland in Kraft getreten. Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich zugunsten künftiger Generationen eine konkretere Klimapolitik gefordert. Das Lieferkettengesetz tritt bald in Kraft. Wie beurteilst du diese jüngsten politischen Entwicklungen?

Das sind tatsächlich erfreuliche Fortschritte. Entgegen vieler Nörgler hierzulande muss ich sagen, dass die große Koalition hier eine echte politische Wende anstößt. Die besagten neuen Beschlüsse und Gesetze sind noch lange nicht ausreichend, aber ich betrachte sie als progressiv und hilfreich auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Gesellschaft.

Die positive Entwicklung zeichnet sich auch international statt. Nur um ein Beispiel zu nennen: Der erste politische Akt der neuen EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen war ja der Green New Deal for Europe. Das beweist doch, dass der Klimawandel endlich politische Chefsache geworden ist. Und Bewegungen wie Fridays For Future haben daran einen großen Anteil.

Annalena Baerbock ist Kanzlerkanditatin der Grünen. Wie schätzt du ihre Chancen ein? Welche neue Regierung erwartet uns?

Sie bringt frischen Wind mit und meint es ernst. Sie ist neben Olaf Scholz die einzige Kanzler-Kandidatin, die entschlossen genug handeln wird in puncto Klimapolitik. Ich glaube, die Grünen werden ein historisch gutes Wahlergebnis erzielen. Aber wir wissen auch von CSU-Chef Markus Söder, dass er nicht bereit ist, als Juniorpartner mit den Grünen zu koalieren. Für die Grünen ist die Stuttgarter Koalition Grün-Schwarz relativ bequem, weil viele von ihnen (leider!) die SPD nicht als Partner, sondern als Konkurrent ansehen. Ich würde mir aber eher eine grün-rot-rote oder eine rot-grün-rote Regierung wünschen, weil die SPD das manchmal fehlende Feingefühl der Grünen für Sozialpolitik und Wirtschaft gut ausgleichen könnte.

Wenn du der neuen Regierung einen einzigen konkreten Ratschlag erteilen könntest, welcher wäre es?

Das Gleiche, was ich schon der chinesischen Regierung geraten habe: Eine geringe, aber stetige Preiszunahme der Energiepreise. Am Besten international vereinbart. Wenn sich die Preise schrittweise an die „ökologische Wahrheit“ annähern, also z.B. den zu behebenden Klimaschaden im Energieverbrauch mit einkalkulieren, dann werden bald neue Verhältnisse geschaffen. In Japan hat der sehr hohe Energiepreis während der Ölkrise (nach 1973) einen gewaltigen Innovationsschub ausgelöst. Damit beziehe ich mich nicht auf die Atomenergie, das war ein Fehler. Ich spreche von den massiven Energie-Einsparungen bei Heiz- und Produktionszyklen durch höheren Wirkungsgrad. Genau das sollten auch wir anregen. 

Und was kann die Wirtschaft tun? Was rätst du uns Unternehmern und Unternehmer*innen?

Zuerst mal müssen wir uns eingestehen, dass die bisherigen Bemühungen für „nachhaltiges Wirtschaften“ einfach nicht ausreichen oder gar hinfällig sind. Nehmen wir mal das Thema Co2-Kompensation. Wenn ein Logistik-Unternehmen seine Fahrten für klimaneutral erklärt, weil es das Co2-Äquivalent durch eine Eukalyptus-Plantage in Südafrika kompensiert, dann wurde offensichtlich übersehen, dass deren enormer Wasserverbrauch zu Dürren und Waldbränden in der Region führt. Diese „Kompensationen“, auch Offsets genannt, sind ökologisch gesehen ein großer Schwindel. Damit aber die ökologische Rahmensetzung nicht lauter Firmenpleiten mit sich bringen, schlage ich vor, dass sich die Verbände der Industrie mit den Regierungen zusammensetzen und Wege formulieren, die zwar ein hohes sozial-ökologisches Innovationstempo nötig machen, aber weitgehend ohne Firmenpleiten.  

Zu guter Letzt brauchen wir ein generelles Umdenken. Wie definieren wir eigentlich Erfolg? Halten wir weiterhin an veralteten Messgrößen wie Rendite und Dividende fest? Oder wollen wir eher unseren Erfindergeist durch revolutionäre Kreislaufwirtschaft beweisen? Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft werden sich nicht durchsetzen, wenn die involvierten Firmen nicht prächtig daran verdienen. Rendite und Dividenden sind etwas Gutes. Aber der vom Staat und von den Kundenpräferenzen gesetzte Rahmen muss sich so entwickeln, dass klimaneutrale und kreisläufige Prozesse und Produkte mehr Dividenden abwerfen als die heutige Form von Fossil- und Wegwerfwirtschaft.

Das Gespräch führte Thomas Zimmermann, ZUK-Team. Fragen & Kommentare gerne per Mail.

Über die Person:

Ernst Ulrich von Weizsäcker (geb. 1939) ist Biologe, Umweltwissenschaftler und Politiker. Er lebt mit seiner Frau Christine und der Familie ihrer gemeinsamen Tochter Paula Bleckmann in Emmendingen in einem Dreigenerationenhaus. Er war Gründungspräsident der Universität Kassel und Gründungspräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Von 1998 bis 2005 war er SPD-Abgeordneter im Deutschen Bundestag, und von 2012-2018 war er Ko-Präsident des Club of Rome, zusammen mit Anders Wijkman. Gemeinsam gaben sie 2018 den letzten großen Bericht des Club oF Rome heraus, auf Deutsch: „Wir sind dran“ (Taschenbuch 2019).