FSM – Die Firma ohne Führungskräfte. Eine Wandelgeschichte.

Thomas Zimmermann
Santha Zeiher FSM

Die FSM AG in Kirchzarten wurde 1989 gegründet, ist im Bereich intelligente Elektronik spezialisiert und mit 140 Mitarbeitenden und 22 Mio. € Jahresumsatz eine der größten Arbeitgeberinnen im Dreisamtal. 2019 gelang eine Transformation zu organisationsweiter Selbstorganisation. Was wie ein Startup-Märchen klingt, wurde hier in diesem produzierenden Mittelständler Wirklichkeit: Alle Führungsposten, bis auf die formal nötigen Vorstandsstellen, wurden abgeschafft. Alle Teams arbeiten eigenverantwortlich. Noch verblüffender: Die Jahre darauf, 2020 und 2021 waren jeweils Rekord-Umsatzjahre, trotz Corona-Pandemie und Lieferengpässen. Im Gespräch mit Santha Zeiher, FSM Bereich Öffentlichkeitsarbeit, gehen wir dieser wundersamen Geschichte auf den Grund.


Hallo Santha. Was kannst du uns zur Gründungsgeschichte der FSM AG erzählen?

Alles begann mit dem „geteilten Leid“ von Bela Fekete, Hubert Schlegel und Eugen Molz. Die drei kannten sich gut, waren Angestellte eines Messtechnikunternehmens und mussten jeweils erfahren, wie ihre technischen und betrieblichen Verbesserungsvorschläge bei Leitungskräften und Geschäftsführung immer wieder zurückgewiesen wurden. Die Führungskultur war einengend und autoritär. So beschlossen die drei eine eigene Firma zu gründen, mit den Initialen ihrer Nachnamen: FSM.

Was ist heute aus den Gründern geworden? Wie geht ihr jetzt mit dem Thema Führung um?

Nachdem Bela Fekete 2008 gesundheitsbedingt ausschied und seine Anteile verkaufte, wurde aus der GmbH eine Aktiengesellschaft (Stand heute: 7 Aktionäre). Die anderen beiden Gründer Hubert Schlegel und Eugen Molz sitzen heute mittlerweile im Aufsichtsrat der AG, während eine neue Generation von Vorständen die Verantwortung übernommen hat: Konrad Molz, Benjamin Schlegel und Markus Herbstritt. Diese Vorstände sind aber jeweils in ihren fachlichen Expertenrollen aktiv und haben nur noch formal das Sagen. In der Praxis entscheiden die jeweiligen Teams selbst, z.B. welche Produkte sie entwickeln und verkaufen wollen, wen sie einstellen oder welches Gehalt neuen Teammitgliedern gezahlt wird. Die Vorstände unterschreiben ggf. Verträge, verlassen sich aber vollkommen auf die Expert:innenmeinung der Kolleg:innen. Somit führen sich unsere Mitarbeitenden quasi selbst.

Wow! Aber das war ja nicht immer so. Woher kam denn überhaupt der Impuls dazu, anders zu arbeiten?

Stimmt, wir waren die ersten 30 Jahre ein eher klassisch strukturiertes Unternehmen, mit Abteilungsleiter:innen, Geschäftsführer:innen und klaren Verantwortungsbereichen. Auf unserer jährlichen Strategie-Klausur 2018 realisierten wir schließlich, dass unsere damaligen Probleme in der Geschwindigkeit und der – ehrlicherweise – eher mäßigen Kundenorientierung vor allem an unserer inneren Struktur lagen. Wir waren groß und träge geworden. Wir hatten versucht unsere komplexen Themen mit einer detailreichen, komplizierten Struktur zu lösen, das ging schief. Ein Wandel musste her.

Wie ist euch dieser notwendige Wandel dann gelungen?

Der Vorstand und Aufsichtsrat befassten sich nach der Klausur persönlich mit der Recherche nach neuen Organisationsmodellen, fast ein halbes Jahr lang. Vieles wurde gesichtet, vieles wieder verworfen. Schließlich wurden unsere damaligen Vorstände auch durch Impuls unserer Aufsichtsrätin Ute Binder-Kissel auf das Transformationskonzept „Open Space Beta“ aufmerksam. Demnach sollte innerhalb von 90 Tagen eine gesamte Organisation „transformiert“ werden können. Und zwar von einer hierarchischer Silo-Kultur auf selbstorganisierte Kollaborations-Kultur. Ohne ein vorgefertigtes und „von oben“ beschlossenes Zielbild, sondern mit der Beteiligung aller Mitarbeitenden. Der Vorstand hatte nur folgende Vorgabe: Die Struktur, die am Ende herauskommt, sollte kundenorientiert, anpassungsfähig und leistungsstark sein.

„Für mich war es beeindruckend zu sehen, was in Kolleg:innen zu Tage tritt, wenn man sie unabhängig von Rang und Hintergrund wirklich ernst nimmt.“

Und diesen Prozess haben wir dann tatsächlich gestartet, April bis Juni 2019. Begleitet wurden wir dabei von den Berater:innen Silke Hermann und Niels Pfläging von Red42. Es gab zu Beginn und zum Ende jeweils eine Großgruppenveranstaltung mit allen ca. 140 – Mitarbeitenden im „Open Space“ Format. Dort sind die entscheidenden klugen Ideen zur Transformation entstanden, durch die thematisch selbst gewählten Diskussionen in Kleingruppen. Für mich war es beeindruckend zu sehen, was in Kolleg:innen zu Tage tritt, wenn man sie unabhängig von Rang und Hintergrund wirklich ernst nimmt. Pünktlich am 1.7.2019 ist dann unsere neue Struktur angelaufen. Es ging wirklich erstaunlich schnell.

Das neue „Zellstrukturdesign“ löst das klassische Organigramm ab.

Und gab es da auch Schattenseiten? Haben wirklich alle mitgezogen?

Natürlich waren nicht alle einverstanden mit diesem radikalen, schnellen Prozess. Das hat sich auch in den Reflektionsworkshops ein Jahr später noch gezeigt. Insbesondere waren einige der damals 8 Führungskräfte unzufrieden, die waren ja mit dem Change ihren Posten los. Manche haben dann im Laufe der ersten zwei Jahre auch gekündigt, z.T. weil sie keine Karrierechance mehr für sich sahen oder sich nicht vorstellen konnten, dass die Selbstorganisation funktioniert. Andere sind „zurück“ in ihre Fachrollen gegangen und waren sogar froh nicht mehr durch formale Aufgaben wie bspw. Jahresgespräche „abgelenkt“ zu sein und sind heute geschätzte Experten auf ihrem Fachgebiet. So ging es auch den Vorständen, die sich heute freuen, selbst Zeit zu haben um an Themen wie Firmware-Entwicklung oder Anlagentechnik fachlich mitzuarbeiten.

„Könner entscheiden, nicht Befugte.“

Jedes Team ist fachlich so breit aufgestellt, um eigenständig Kundennutzen zu stiften.

Was ist aus deiner Sicht der Grund, warum die Mitarbeitenden jetzt so eigenverantwortlich und selbstorganisiert arbeiten?

Da gibt es sicher verschiedene Faktoren. Einige motiviert das große Vertrauen, was ihnen entgegengebracht wird sowie der Entscheidungsfreiraum. Das Credo bei uns: „Könner entscheiden, nicht Befugte“. Es macht einfach Spaß zu sehen, dass man sich Dinge schnell und unkompliziert erarbeiten kann! Das macht uns als Unternehmen sehr erfolgreich und leistungsstark.
Vom Unternehmenserfolg profitieren wir alle. Im internen Datenvisualisierungstool QLIK wird für alle sichtbar, wie groß die Jahresrendite aktuell ist, welches Team mit seinem Umsatz dazu wie beiträgt. Dort sieht man auch, welcher Anteil des Gewinns wohin fließen wird – und somit auch, über welchen Bonus man sich am Jahresende freuen kann.

Wirklich eine einmalige Veränderungsgeschichte. Danke für das Gespräch!

Weitere Infos unter: www.fsm.ag/fsmspirit

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